Ausgelöst durch die Studie "Gesellschaft im Reformprozess" der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde der Begriff der Unterschicht in den letzten Wochen durch die Medien vielfach reflektiert. Die Bezeichnung als solche wurde in der besagten Studie vermieden, da mit deren Verwendung eine wertende Haltung verbunden mit der Einordnung in die soziale Hierarchie einer Gesellschaft einhergeht. Trotzdem redet jeder von der Unterschicht und hat Angst zu dieser zu zählen oder durch sozialen Abstieg, sei es Krankheit, Arbeitslosigkeit oder nicht mehr ausreichende Qualifikation, in deren Nähe abzurutschen. Doch welches Gesicht, welche "Geschichte" hat ein Mitglied dieser scheinbar neu entdeckten Gesellschaftsschicht?
Sind es die Obdachlosen, die ich bei bei Joggingrunden in der frühen Dunkelheit des Abends nur als Schemen am Rheinufer wahrnehme? Ist es das vielleicht zwanzigjährige Mädchen, das eigentlich ganz normal aussieht und auf seinem Damenrad einen Korb hat? Es stoppt an jeder Mülltonne auf den 300 Meter Laufstrecke, die noch vor mir liegen und nimmt daraus weggeworfene Pfandflaschen um sie mitzunehmen.
Oder ein anderes Bild: Ein junges Paar, beide Anfang 20 mit Kind und verheiratet möchten einen Kredit von 3000 Euro aufnehmen. Da nur ein Einkommensnachweis vorliegt und die Einnahmen/Ausgaben-Rechnung für einen Drei-Personen-Haushalt nicht ausreicht, wird der Kredit abgelehnt. Dieser Kredit war für die beiden alles andere als "easy". Ich beginne nachzufragen und erfahre folgendes. Er war arbeitslos und ist froh, einen Job zu haben. Die Ausbildung als Handwerker wurde erfolgreich abgeschlossen. Nettoverdienst ca. 1.300 Euro im Monat. Anfahrtsweg auf die Arbeit: 75 Kilometer einfach, die Fahrtkosten sind als monatliche Belastungen nicht unerheblich für die kleine Familie. Sie hat kein eigenes Einkommen, ist seit der Ausbildung arbeitslos und hat keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung, da das Gehalt des Mannes angerechnet wird. Zusatzeinkommen: 154 Euro Kindergeld. Das zweite Kind ist unterwegs. Anspruch auf Wohngeld besteht ebenfalls keines, da der Mann mit seinem Verdienst nur gering über einer bestimmten Grenze zu liegen scheint. Auf meine Frage wie der Lebensunterhalt bestritten wird, bekomme ich die tapfere Aussage, dass es schon ginge, wenn man keine zu hohen Ansprüche hegt. Die Kreditsumme könne sich auch notfalls von den Eltern geliehen werden, obwohl beide das Anfangs nicht wollten und eigenständig einen Kredit aufnehmen wollten.
Ist das Unterschicht? Ist das ein Beispiel für geringes Einkommen und mangelnde Qualifikation? Hat jemand, der einen IHK-Abschluss hat, eine mangelnde Qualifikation und läuft Gefahr, trotzdem ins soziale Abseits zu geraten? Da es keine abschliessende und zufriedenstellende Definition des Begriffes der Unterschicht zu geben scheint, erscheint mir auch jede Debatte darüber wenig konstruktiv.
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